Dieser Text zu rechtlichen Fragestellungen gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder. Weder kann eine Garantie für die inhaltliche Richtigkeit übernommen werden, noch soll er eine ggf. notwendige Rechtsberatung im Einzelfall ersetzen. Verbindliche Auskünfte kann ein Rechtsanwalt erteilen, der dann auch die Haftung für die Richtigkeit seiner Ratschläge trägt.

Rechtliche Bedeutung der Garantenstellung

Was bedeuten "unterlassene Hilfeleistung" und "Garantenstellung"?

Spätestens nach dem Besuch eines Erste-Hilfe-Kurses ist wahrscheinlich bekannt, dass es in Deutschland nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung gibt, anderen Menschen in Not zu helfen.

Unterlassene Hilfeleistung

Eine Verletzung dieser Hilfspflicht wird als unterlassene Hilfeleistung bestraft. Nach § 323c StGB (Strafgesetzbuch) macht sich einer solchen Straftat schuldig, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm nach den Umständen nach zuzumuten war (insbesondere wenn die Hilfeleistung ohne eigene Gefahr oder Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich war). Ein Unglücksfall nach dieser Vorschrift liegt u. a. dann vor, wenn bspw. Gesundheit oder Leben des Betroffenen erheblich gefährdet werden. In diesem Fall ist jedermann verpflichtet, nach besten Kräften zu helfen.

Garantenstellung

Bestimmte Personen trifft über diese allgemeine Hilfspflicht hinaus eine besondere Verpflichtung, von bestimmten Personen oder besser Rechtsgütern Gefahren abzuwehren. Sie müssen als Garanten ("Beschützer") rechtlich dafür einstehen, dass "der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt", eine Straftat also nicht verwirklicht wird. Diese Verpflichtung, nicht nur selbst keine fremden Rechtsgüter zu verletzen, sondern aktiv einer Rechtsgutverletzung entgegenzutreten und diese möglichst zu verhindern, bspw. Rettungshandlungen zu unternehmen, wird als Garantenstellung bezeichnet.

Garantenpflicht

Welche Pflichten hat ein Garant?

Der Garant hat die Pflicht, Schaden vom geschützten Rechtsgut abzuwenden. Er muss also aktiven Rechtsgüterschutz betreiben.

Verdeutlichen lässt sich das am besten an einem Beispiel:

Der Straftatbestand der Körperverletzung dient dem Schutz des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit; er enthält also ein Verbot, andere zu verletzen. Diese Pflicht, alles zu unterlassen, was andere Menschen verletzt, trifft jedermann. Wer trotzdem jemanden verletzt, macht sich der Körperverletzung strafbar und wird daher mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Für einen Garanten gilt aber zusätzlich die Pflicht, zu verhindern, dass der Betroffene (das Opfer) - auch ohne sein Zutun - verletzt wird. Er darf das Opfer also nicht nur nicht selbst verletzen, er muss auch Verletzungen, die er gar nicht selbst verursacht hat, zu verhindern versuchen. Diese Pflicht trifft nur ihn; wenn er nicht verhindert, dass jemand verletzt wird, für den er eine Garantenstellung innehat, obwohl er das könnte, macht er sich wegen einer Körperverletzung durch Unterlassen schuldig und kann genauso wie der Täter bestraft werden, der die Körperverletzung durch sein aktives Handeln herbeigeführt hat.

Entstehen der Garantenstellung

Wer ist Garant, bzw. wie wird man Garant?

Eine Garantenstellung (als Beschützergarant) kann sich vor allem ergeben aus

  • rechtlichen Vorschriften und enger natürlicher Verbundenheit
    (z.B. Eltern für ihre Kinder und umgekehrt, Ehepartner)

  • anderen Lebens- oder Gefahrgemeinschaften, die die Gewähr für gegenseitige Hilfe und Fürsorge bieten sollen
    (z.B. eheähnliche Lebensgemeinschaften, Bergsteigergruppen)

  • der freiwilligen Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten
    (z.B. Übernahme der (ärztl.) Behandlung, Babysitter, Bademeister, Rettungs- und Sanitätsdienst, Bergführer)

  • pflichtwidrigem gefährlichen Vorverhalten (sog. Ingerenz)
    (z.B. durch den Verursacher eines Verkehrsunfalls ggü. dem Verletzten)

Eine Garantenstellung ergibt sich hingegen nicht aus dem Absolvieren einer bestimmten Ausbildung oder aufgrund besonderer Fähigkeiten.

Die Garantenstellung bezieht sich immer auf bestimmte Rechtsgüter oder Personen. Wer ggü. seinem Kind eine Garantenstellung hat, hat dadurch nicht notwendigerweise auch eine solche ggü. dem Nachbarskind.

Entsteht so eine Garantenstellung nur durch einen gültigen Vertrag?

Relevant ist diese Frage nur hinsichtlich der Garantenstellung durch freiwillige Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten, und auch dort lautet die Antwort: nein. Entscheidend ist die faktische (also tatsächliche) Übernahme der Obhutspflichten. Von wesentlicher Bedeutung ist daher nicht eine vertragliche Vereinbarung oder deren Gültigkeit, sondern ob im Vertrauen auf die zugesagte Hilfe und das "Bereitstehen" des die Obhut Übernehmenden andere Schutzmaßnahmen unterblieben sind und unterbleiben durften.

Daher genügt es, wenn der Babysitter die (Verantwortung für die) Kinder von den Eltern übernimmt; wenn der Arzt die Behandlung seines Patienten oder der Bereitschaftsarzt seinen Dienst beginnt; oder wenn der Rettungsschwimmer sich im Freibad oder der Sanitäter sich auf dem Sportplatz einfindet.

Welche Bedeutung hat der Ausbildungsstand?

Macht es einen Unterschied, ob der Helfende Laie oder Fachmann ist?

Ja. Der Fachmann hat zwar nicht etwa, wie oft fälschlich angenommen, nur aufgrund seiner Qualifikation eine Garantenstellung inne; aber an seine Hilfsmaßnahmen werden höhere Anforderungen gestellt. Dabei ist es egal, ob er nur im Rahmen der allgemeinen Hilfspflicht oder als Garant zur Hilfe verpflichtet ist.

In beiden Fällen muss die Hilfeleistung zum einen zumutbar sein und zum anderen nach besten Kräften geschehen.

Zumutbarkeit

Eine Hilfeleistung ist zumutbar, wenn sie ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten vorgenommen werden kann. Diesbezüglich ist eine Abwägung erforderlich, die die dem Opfer drohende Gefahr, die dem Helfer drohende Gefahr, ggf. eine besondere Stellung des Helfers und die Wichtigkeit anderer Pflichten sowie die durch deren Verletzung drohende Gefahr einbezieht.

Es ist also zu fragen:

  • Was passiert dem Betroffenen, wenn der Helfer nicht hilft? Wie schwer ist ein eventueller Schaden und wie wahrscheinlich?

  • Was kann dem Helfer bei der Hilfeleistung zustoßen? Wie schwer ist ein eventueller Schaden und wie wahrscheinlich?

  • Ist der Helfer möglicherweise Garant, so dass von ihm mehr zu verlangen ist als vom Durchschnittsbürger?

  • Welche anderen Verpflichtungen müsste der Helfer bei der Hilfe missachten? Wie schwer ist ein dort eventueller Schaden und wie wahrscheinlich?

Hilfe nach besten Kräften

Die Rechtsordnung verlangt von jedem nur das, was er leisten kann (oder leisten können müsste) - "nemo ultra posse obligatur".

Daher kann bei der ersten Hilfe durch den Laien ein Notruf ausreichen, wenn er keine weiteren medizinischen Maßnahmen beherrscht. Von einem Sanitäter, Rettungssanitäter, Rettungsassistenten, Notfallsanitäter oder Arzt wird man hingegen eine Versorgung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und dem jeweils individuellen Ausbildungsstand verlangen.

Wer die Schocklage beherrscht, muss sie auch anwenden; wer eine Infusion anlegen kann, muss das auch tun.

Garant und Qualifikation

Ich verstehe den Unterschied zwischen "Garantenstellung" und "Hilfe nach besten Kräften" noch nicht?!

Die Garantenstellung entsteht aufgaben- oder funktionsbezogen, der Umfang der verlangten Maßnahmen ergibt sich (neben der Zumutbarkeit) aus den Kenntnissen, ist also ausbildungsbezogen.

Man ist Garant, weil man Vater, Ehefrau, Bademeister oder Unfallverursacher ist, nicht weil man Krankenpfleger oder Notarzt ist.

Man ist verpflichtet, mehr als bloß den Notruf zu erledigen, weil man Rettungssanitäter oder Arzt ist (also mehr gelernt hat), nicht weil man Mutter, Babysitter oder Bergführer ist.

Um den Unterschied nochmal dazustellen, bietet sich vielleicht ein Fallbeispiel an:

Oskar ist 16 Jahre alt und geht an einem schönen Sommertag nach der Schule ins Freibad. Schwimmen kann er zwar nicht, aber er findet's ganz nett, sich da in die Sonne zu legen, an einer Cola zu nuckeln und zu schauen, wie knapp denn in diesem Sommer die Badeanzüge geschnitten sind. Als er gerade am Rand des Schwimmerbeckens steht und mit den Gedanken ganz woanders ist, schleicht sich Torsten, der Oskar nun überhaupt nicht leiden kann, an und versetzt ihm einen Stoß, so dass Oskar ins Wasser stürzt. Er kommt noch einmal an die Oberfläche, wirft die Arme hoch, ruft dramatisch "Hilfe, ich kann nicht schwim…" und wird danach nicht mehr gesehen.

Das Geschehen beobachtet haben

  • Torsten
    (der Oskar, wie gesagt, nicht ausstehen kann)

  • Karl, ein Klassenkamerad
    (der Oskar auch nicht besonders mag)

  • Robin, der diensttuende Rettungsschwimmer
    (der sich nicht aus der Schar seiner Bewunderer entfernen möchte)

  • Brigitte, ein Badegast, der zufällig in der Nähe war
    (sie hat sich aber schon abgetrocknet)

  • Valentin, Oskars Vater
    (der noch genug andere Kinder hat)

  • Sabine, eine Rettungssanitäterin, die vor der anstehenden Nachtschicht noch einmal schön den sonnigen Nachmittag im Freibad genießen möchte
    (aber auf der Liegewiese, nicht im Wasser!)

    Aus den verschiedensten Gründen fühlt sich aber keiner der genannten bemüßigt, dem armen Oskar hinterher zu springen, so dass dieser auch in der nächsten Zeit nicht mehr an die Oberfläche kommt und dahinscheidet.

Wer hat sich "nur" der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht (Freiheitsstrafe bis 1 Jahr oder Geldstrafe) und wer war Garant hinsichtlich des Oskar und ist damit des Totschlags durch Unterlassen (5-15 Jahre Freiheitsstrafe) schuldig?

Unterlassene Hilfeleistung ist für Karl, Brigitte und Sabine einschlägig; Torsten (als Täter), Robin (als Rettungsschwimmer im Dienst) und Valentin (als Vater) waren Garanten und sehen sich dem Vorwurf des Totschlags gegenüber.

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