Die­ser Text zu recht­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen gibt die per­sön­li­che Auf­fas­sung des Au­tors wie­der. Weder kann eine Ga­ran­tie für die in­halt­li­che Rich­tig­keit über­nom­men wer­den, noch soll er eine ggf. not­wen­di­ge Rechts­be­ra­tung im Ein­zel­fall er­set­zen. Ver­bind­li­che Aus­künf­te kann ein Rechts­an­walt er­tei­len, der dann auch die Haf­tung für die Rich­tig­keit sei­ner Rat­schlä­ge trägt.

Rechts­grund der Schwei­ge­pflicht

Wor­aus er­gibt sich die Schwei­ge­pflicht?

Die Schwei­ge­pflicht er­gibt sich aus dem An­spruch des Pa­ti­en­ten auf Schutz sei­nes pri­va­ten Le­bens­be­reichs und sei­ner In­tim­sphä­re, also Rechts­gü­tern von Ver­fas­sungs­rang (allg. Per­sön­lich­keits­recht, Art. 1, 2 GG). Sie ist für den Arzt eine Be­rufs­pflicht und für das nicht­ärzt­li­che Per­so­nal je­den­falls durch Dienst­an­wei­sun­gen oder Ar­beits­ver­trä­ge, teil­wei­se auch in Ret­tungs­dienst­ge­set­zen nie­der­ge­legt.

Neben zi­vil-, ar­beits-, ver­eins-, be­rufs- oder dis­zi­pli­nar­recht­li­chen Kon­se­quen­zen kann eine Ver­let­zung der Schwei­ge­pflicht aber auch straf­recht­li­che Fol­gen haben, denn in § 203 StGB ist die "Ver­let­zung von Pri­vat­ge­heim­nis­sen" mit Stra­fe be­droht:

§ 203 StGB: Ver­let­zung von Pri­vat­ge­heim­nis­sen

(1) Wer un­be­fugt ein frem­des Ge­heim­nis, na­ment­lich ein zum per­sön­li­chen Le­bens­be­reich ge­hö­ren­des Ge­heim­nis oder ein Be­triebs- oder Ge­schäfts­ge­heim­nis, of­fen­bart, das ihm als

  1. Arzt, Zahn­arzt, Tier­arzt, Apo­the­ker oder An­ge­hö­ri­gen eines an­de­ren Heil­be­rufs, der für die Be­rufs­aus­übung oder die Füh­rung der Be­rufs­be­zeich­nung eine staat­lich ge­re­gel­te Aus­bil­dung er­for­dert, […]

an­ver­traut wor­den oder sonst be­kannt­ge­wor­den ist, wird mit Frei­heits­stra­fe bis zu einem Jahr oder mit Geld­stra­fe be­straft.

(2) […]

(3) Einem in Ab­satz 1 Nr. 3 ge­nann­ten Rechts­an­walt ste­hen an­de­re Mit­glie­der einer Rechts­an­walts­kam­mer gleich. Den in Ab­satz 1 und Satz 1 Ge­nann­ten ste­hen ihre be­rufs­mä­ßig tä­ti­gen Ge­hil­fen und die Per­so­nen gleich, die bei ihnen zur Vor­be­rei­tung auf den Beruf tätig sind. Den in Ab­satz 1 und den in Satz 1 und 2 Ge­nann­ten steht nach dem Tod des zur Wah­rung des Ge­heim­nis­ses Ver­pflich­te­ten fer­ner gleich, wer das Ge­heim­nis von dem Ver­stor­be­nen oder aus des­sen Nach­laß er­langt hat.

(4) Die Ab­sät­ze 1 bis 3 sind auch an­zu­wen­den, wenn der Täter das frem­de Ge­heim­nis nach dem Tod des Be­trof­fe­nen un­be­fugt of­fen­bart.

(5) Han­delt der Täter gegen Ent­gelt oder in der Ab­sicht, sich oder einen an­de­ren zu be­rei­chern oder einen an­de­ren zu schä­di­gen, so ist die Stra­fe Frei­heits­stra­fe bis zu zwei Jah­ren oder Geld­stra­fe.

Ab­ge­se­hen von der recht­li­chen Seite soll­te oh­ne­hin al­lein schon der Re­spekt vor der Pri­vat- und In­tim­sphä­re einer an­ver­trau­ten Per­son hin­rei­chen­der Grund sein, nicht über diese zu "trat­schen". Dies kommt nicht zu­letzt auch dem An­se­hen der ent­spre­chen­den Be­rufs­grup­pe in der Öf­fent­lich­keit und dem Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Hel­fer und (po­ten­ti­el­len) Pa­ti­en­ten zu­gu­te.

Schwei­ge­pflich­ti­ge

Wer un­ter­liegt der Schwei­ge­pflicht?

In der Regel be­trifft die me­di­zi­ni­sche Schwei­ge­pflicht jeden, der im me­di­zi­ni­schen Be­reich tätig ist, gleich­viel ob im Sa­ni­täts­dienst, (Was­ser-, Berg-, Luft- oder Land-)Ret­tungs­dienst, im Ka­ta­stro­phen­schutz, in Kran­ken­häu­sern oder in Arzt­pra­xen, und egal wie häu­fig, bei wel­cher Or­ga­ni­sa­ti­on und in wel­chem Ar­beits­ver­hält­nis, denn in allen die­sen Fäl­len be­steht eine - zu­meist auch aus­drück­lich, bspw. durch den Ar­beit­ge­ber, nor­mier­te Be­rufs­pflicht. Al­ler­dings trifft die straf­recht­li­che Ver­pflich­tung zur Wah­rung von Pri­vat­ge­heim­nis­sen nur die­je­ni­gen Per­so­nen, die in § 203 StGB aus­drück­lich ge­nannt sind.

§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB be­trifft neben et­li­chen an­de­ren Be­rufs­stän­den aus­drück­lich den Arzt und den Not­fall­sa­ni­tä­ter oder Ret­tungs­as­sis­ten­ten (letz­te­re wer­den als Heil­be­ru­fe, "bei denen die Füh­rung der Be­rufs­be­zeich­nung eine staat­lich ge­re­gel­te Aus­bil­dung er­for­dert", er­fasst). Nach Abs. 3 Satz 2 die­ser Vor­schrift sind den vor­ge­nann­ten aber auch ihre "be­rufs­mä­ßig tä­ti­gen Ge­hil­fen" gleich­ge­stellt. Diese Re­ge­lung wird weit aus­ge­legt und er­fasst jeden, der den Arzt - oder den Not­fall­sa­ni­tä­ter oder Ret­tungs­as­sis­ten­ten - bei des­sen zu sei­nem Beruf ge­hö­ren­den Tä­tig­kei­ten "or­ga­ni­siert" un­ter­stützt, un­ab­hän­gig davon, in wel­chem Ar­beits­ver­hält­nis oder wie re­gel­mä­ßig diese Tä­tig­keit aus­ge­übt wird. Zweck der Norm ist näm­lich der um­fas­sen­de Schutz des Pa­ti­en­ten davor, dass Ein­zel­hei­ten aus sei­nem Pri­vat- und In­tim­be­reich an die Öf­fent­lich­keit bzw. Drit­ten zur Kennt­nis ge­lan­gen. Dabei macht es kei­nen Un­ter­schied, ob dem Arzt werk­tags von sei­ner haupt­amt­li­chen Sprech­stun­den­hil­fe oder im Wo­chen­end­dienst viel­leicht von sei­ner Ehe­frau oder einer Be­kann­ten as­sis­tiert wird; ge­nau­so­we­nig, wie es dar­auf an­kommt, ob der Kran­ken­trans­port- oder Ret­tungs­wa­gen, in dem der Arzt sei­nen Pa­ti­en­ten be­glei­tet, mit haupt- oder eh­ren­amt­li­chem Per­so­nal be­setzt ist. Der ge­sam­te Be­reich der As­sis­tenz­tä­tig­keit in der ärzt­li­chen Pra­xis, im (or­ga­ni­sier­ten) ärzt­li­chen Not­fall­dienst oder in der Kli­nik ist mit­hin durch die Ge­hil­fen­re­ge­lung ab­ge­deckt; das gilt eben­so ohne Zwei­fel für den Be­reich der ret­tungs­dienst­li­chen Tä­tig­keit, so­weit dem Not­arzt - auf einem Not­arzt­wa­gen (NAW) oder bei einem ge­mein­sa­men Ein­satz mit dem Not­arz­t­ein­satz­fahr­zeug (NEF) - oder dem Not­fall­sa­ni­tä­ter oder Ret­tungs­sas­sis­ten­ten as­sis­tiert wird.

Wei­ter­ge­hen­de Fra­gen stel­len sich nur dann, wenn der Ret­tungs­dienst ei­gen­stän­dig, d.h. ohne (Not-)Arzt, tätig wird, oder so­weit Mit­ar­bei­ter an­de­rer Hilfs­diens­te, bspw. des Ka­ta­stro­phen­schut­zes, der Was­ser- und Berg­ret­tung oder des oft von Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen er­brach­ten Ver­an­stal­tungs­sa­ni­täts­diens­tes be­trof­fen sind.

Es er­scheint näm­lich be­reits mehr als zwei­fel­haft, ob Per­so­nal des Ret­tungs­diens­tes, das einen Pa­ti­en­ten zwar auf ärzt­li­che An­ord­nung (Ein­wei­sung, Trans­port­schein) hin, aber ohne jeden di­rek­ten Kon­takt mit dem ein­wei­sen­den Arzt trans­por­tiert, noch zu des­sen (!) be­rufs­mä­ßig tä­ti­gen Ge­hil­fen zählt. End­gül­tig zu ver­nei­nen wird dies sein, so­weit der Ret­tungs­dienst einen Pa­ti­en­ten nur ins Kran­ken­haus trans­por­tiert (weil der Ret­tungs­dienst nicht or­ga­ni­sa­to­risch in die Struk­tu­ren des Kran­ken­hau­ses ein­ge­bun­den ist und daher seine Mit­ar­bei­ter auch nicht zu den Ge­hil­fen des Kran­ken­haus­arz­tes zäh­len), oder wenn der Ret­tungs­dienst den Pa­ti­en­ten gar nur ver­sorgt oder zu einem Fehl­ein­satz ge­ru­fen wird. Auch kann man die Mit­ar­bei­ter des Ret­tungs­diens­tes nicht als Ge­hil­fen des Ärzt­li­chen Lei­ters Ret­tungs­dienst auf­fas­sen, wo ein sol­cher in­stal­liert wor­den ist, denn die­ser be­han­delt den Pa­ti­en­ten nicht, so dass er dabei auch nicht un­ter­stützt wer­den kann. Ins­be­son­de­re sind aber die in Was­ser- und Berg­ret­tung oder im Ver­an­stal­tungs­sa­ni­täts­dienst, bei dem Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen oder gar ge­werb­li­che An­bie­ter selb­stän­dig tätig wer­den, ein­ge­setz­ten Mit­ar­bei­ter oder eh­ren­amt­li­chen Kräf­te keine Mit­ar­bei­ter ir­gend­ei­nes Arz­tes (es sei denn, sie ar­bei­ten auf einem grö­ße­ren Ein­satz einem Arzt zu). In die­sen Fäl­len be­grün­det sich eine Schwei­ge­pflicht dann - nur - aus der be­am­ten­recht­li­chen Pflicht zur Dienst­ver­schwie­gen­heit (so­weit bspw. eine Feu­er­wehr tätig wird) oder aus ver­gleich­ba­ren Vor­schrif­ten für den öf­fent­li­chen Dienst, aus Vor­ga­ben des Ret­tungs­dienst­ge­set­zes, ar­beits­recht­li­chen An­wei­sun­gen des Ar­beit­ge­bers oder ver­eins­recht­li­chen Vor­ga­ben der (als Ver­ein or­ga­ni­sier­ten) Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on. Straf­bar im Sinne des § 203 StGB ist eine Ver­let­zung der Schwei­ge­pflicht dann nicht, sie zieht "nur" dis­zi­pli­nar-, ar­beits- oder ver­eins­recht­li­che Kon­se­quen­zen nach sich.

In Zwei­fels­fäl­len ist je­weils dar­auf ab­zu­stel­len, ob die Per­son, um deren (po­ten­ti­el­le) Schwei­ge­pflicht es geht, einem be­stimm­ten Arzt oder einer Grup­pe von Ärz­ten als be­rufs­mä­ßi­ger Hel­fer zu­zu­ord­nen ist, sie also in einen ärzt­lich ge­lei­te­ten Be­trieb - wie einer Arzt­pra­xis, einem Kran­ken­haus o.ä. - or­ga­ni­sa­to­risch ein­ge­bun­den ist, oder ob sie or­ga­ni­sa­to­risch selb­stän­dig einem sol­chen Be­trieb zu­ar­bei­tet. Es ge­nügt je­den­falls nicht zur Be­grün­dung einer Ge­hil­fen­stel­lung im Sinne des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB - und damit zu einer auch straf­recht­lich be­grün­de­ten Schwei­ge­pflicht -, dass je­mand ein­ma­lig oder auch re­gel­mä­ßig Ein­bli­cke in die me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung be­kommt. So ge­hö­ren Feu­er­wehr­leu­te, die im Rah­men der tech­ni­schen Ret­tung auch Ein­zel­hei­ten der me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung mit­be­kom­men, selbst aber nicht in diese ein­ge­bun­den sind, zwei­fels­oh­ne nicht zum Kreis der (me­di­zi­nisch) Schwei­ge­pflich­ti­gen; sie un­ter­lie­gen aber als Amts­trä­ger einer iden­ti­schen Ver­schwie­gen­heits­pflicht aus § 203 Abs. 2 StGB.

Glei­ches gilt, wenn "be­rufs­mä­ßi­ge Ge­hil­fen" au­ßer­halb ihrer be­ruf­li­chen Tä­tig­keit agie­ren, bspw. Sa­ni­tä­ter oder auch Ret­tungs­sa­ni­tä­ter au­ßer­halb der Dienst­zeit. Dies un­ter­schei­det sie von den ori­gi­när Schwei­ge­pflich­ti­gen selbst, die - wie Arzt oder Ret­tungs­as­sis­tent - auch au­ßer­halb der Dienst­zeit immer dann, wenn sie im Rah­men ihrer Tä­tig­keit in An­spruch ge­nom­men wer­den, auch von der straf­recht­lich nor­mier­ten Schwei­ge­pflicht ge­trof­fen wer­den. An­ders sieht das für die letzt­ge­nann­ten bei einer pri­va­ten Hil­fe­leis­tung nur dann aus, wenn der Pa­ti­ent gar keine Kennt­nis davon hat, dass ein Arzt - oder Ret­tungs­as­sis­tent - seine Be­hand­lung über­nom­men hat, denn dann of­fen­bart er sich sei­nem Hel­fer ja nicht des­halb, weil die­ser ihm ge­gen­über als Arzt oder Ret­tungs­as­sis­tent tätig wird.

Um­fang der Schwei­ge­pflicht

Wel­che The­men­be­rei­che um­fasst die Schwei­ge­pflicht und wem ge­gen­über gilt sie?

Die Schwei­ge­pflicht gilt um­fas­send und ge­gen­über je­der­mann; sie be­trifft all das, was dem Arzt oder nicht­ärzt­li­chen Hel­fer auf­grund sei­ner Stel­lung und Funk­ti­on und des zwi­schen ihm und dem Pa­ti­en­ten be­ste­hen­den Ver­trau­ens­ver­hält­nis­ses von die­sem mit­ge­teilt wird wie auch das, was er ohne be­son­de­re Mit­tei­lung des Pa­ti­en­ten selbst fest­stellt oder er­fährt.

Von der Schwei­ge­pflicht er­fass­te The­men­be­rei­che

Dazu ge­hö­ren zum einen alle me­di­zi­ni­schen, krank­heits­be­zo­ge­nen Fak­ten und Er­kennt­nis­se, be­gin­nend damit, dass der Pa­ti­ent über­haupt der Hilfe be­durf­te, und wei­ter­ge­hend über die Art sei­ner Ver­let­zung oder Er­kran­kung, wie es dazu kam, die Sym­pto­me und an­de­re Er­geb­nis­se der Ana­mne­se, die Dia­gnos­tik und (Ver­dachts- )Dia­gno­se, durch­ge­führ­te Maß­nah­men und Ge­fah­ren bis hin zum Trans­port­ziel oder der ge­plan­ten Wei­ter­be­hand­lung. Damit aber nicht genug; zum an­de­ren ge­hö­ren auch alle nur denk­ba­ren üb­ri­gen Fak­ten und Be­wer­tun­gen dazu, zu denen der Hel­fer nur auf­grund oder an­läss­lich der Be­hand­lung ge­langt ist oder die ihm in die­sem Zu­sam­men­hang an­ver­traut wur­den, bspw. Fest­stel­lun­gen zur Wohn- und Le­bens­si­tua­ti­on, zu einer Sucht­pro­ble­ma­tik oder be­son­de­ren Vor­lie­ben und In­ter­es­sen (aus dem se­xu­el­len Be­reich und an­der­wei­tig), zur Ver­mö­gens­la­ge, zur kör­per­li­chen Hy­gie­ne etc. pp.

Der Hel­fer hat also Schwei­gen dar­über zu be­wah­ren, dass Herr oder Frau X über­haupt von ihm be­han­delt wur­den (oder dass er zu einem Not­fall in der So­wies­o­stra­ße XY ge­ru­fen wurde); wor­un­ter Herr oder Frau X lei­det; in wel­ches Kran­ken­aus er oder sie ein­ge­lie­fert wer­den soll; dass Herr X of­fen­bar Al­ko­ho­li­ker ist und (trotz vor­han­de­ner Ehe­frau) mit sei­ner jun­gen Ge­lieb­ten im Bett an­ge­trof­fen wurde; dass Frau X Lack- und Le­der-Fe­ti­schis­tin ist; dass sich in der Woh­nung von Frau X er­le­se­ne Kunst­schät­ze be­fin­den; und auch dar­über, dass Herr X sich sei­nen Dok­tor­grad sei­ner­zeit durch eine ge­fälsch­te Dis­ser­ta­ti­on er­schli­chen hat, was er unter dem Ein­druck der To­des­angst zur Er­leich­te­rung sei­nes Ge­wis­sens auf der Fahrt im Not­arzt­wa­gen den Be­treu­ern an­ver­traut.

Nicht von der Schwei­ge­pflicht er­fasst sind öf­fent­lich be­reits be­kann­te Tat­sa­chen; wohl aber wei­te­re, nicht öf­fent­lich be­kann­te Ein­zel­hei­ten. Auch greift die Schwei­ge­pflicht nur, so­weit sich Äu­ße­run­gen des Hel­fers ir­gend­wie einer be­stimm­ten oder be­stimm­ba­ren Per­son zu­ord­nen, also nicht an­ony­mi­siert sind. Wenn also be­reits der Zei­tung zu ent­neh­men ist, dass es einen spek­ta­ku­lä­ren Au­to­bahn­un­fall gab oder dass das Haus So­wies­o­stra­ße XY ab­ge­brannt ist, sind diese Fak­ten keine Ge­heim­nis­se mehr und un­ter­lie­gen nicht der Schwei­ge­pflicht. Sehr wohl von der Schwei­ge­pflicht er­fasst sind aber noch Ein­zel­hei­ten des Un­falls oder Bran­des und der dabei er­lit­te­nen Ver­let­zun­gen oder die Namen der Be­tei­lig­ten, weil diese eben noch nicht be­kannt sind. An­ders­her­um ist es für den Hel­fer pro­blem­los mög­lich, in ge­müt­li­cher Runde An­ek­do­ten aus sei­ner be­weg­ten Tä­tig­keit im Blau­licht­mi­lieu zum Bes­ten zu geben, so­weit sich dar­aus nicht (auch nicht in­di­rekt!) auf den oder die Be­trof­fe­nen zu­rück­schlie­ßen lässt. Ein Be­richt der Art "Ich hatte mal einen Pa­ti­en­ten, der hat sich das Bein ab­ge­sägt und das in den ers­ten Mi­nu­ten gar nicht be­merkt" stellt ein­schließ­lich der nä­he­ren Ein­zel­hei­ten die­ses bi­zar­ren Fal­les in der Regel keine Ver­let­zung der Schwei­ge­pflicht dar, weil eben nie­mand weiß oder er­fah­ren kann, wer der Un­glücks­se­li­ge war. An­ders sieht das na­tür­lich aus, wenn ein "grau­si­ger Ar­beits­un­fall in den XYZ-Wer­ken" der­zeit ge­ra­de das große Stamm­tisch­the­ma im Ort oder die Schlag­zei­le in der Lo­kal­pres­se dar­stellt.

Zu be­ach­ten ist daher auch, dass bei Ver­öf­fent­li­chun­gen von Ein­satz­be­rich­ten in Me­di­en (sei es dem In­ter­net, seien es Fach­zeit­schrif­ten) nicht ver­se­hent­lich gegen die Vor­ga­ben der Schwei­ge­pflicht ver­sto­ßen wird. Die Dar­stel­lung von Ein­sät­zen ist immer un­pro­ble­ma­tisch, wenn sich nicht er­ken­nen lässt, wer be­trof­fen ist; wenn aber bspw. Namen und Orte ge­nannt wer­den, soll­te dar­auf ge­ach­tet wer­den, keine me­di­zi­ni­schen oder sons­ti­gen der Öf­fent­lich­keit bis dahin nicht be­kann­ten De­tails zu ver­öf­fent­li­chen.

Per­so­nen, denen ge­gen­über die Schwei­ge­pflicht gilt

Auch der Per­so­nen­kreis, dem ge­gen­über die Schwei­ge­pflicht zu be­ach­ten ist, ist schnell um­ris­sen: je­der­mann.

Die Pflicht zur Ver­schwie­gen­heit gilt auch ge­gen­über An­ge­hö­ri­gen des Pa­ti­en­ten (ins­be­son­de­re auch bei Kin­dern ge­gen­über den El­tern!), ge­gen­über wei­ter­be­han­deln­dem Per­so­nal, ge­gen­über den ei­ge­nen Kol­le­gen, Freun­den und Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen, ge­gen­über Po­li­zei, Staats­an­walt­schaft und Ge­richt (je­den­falls so­weit ein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht be­steht) und na­tür­lich ge­gen­über der Pres­se. Al­ler­dings sind dies­be­züg­lich in der Pra­xis Aus­nah­men (Stich­wort "Ent­bin­dung von der Schwei­ge­pflicht") zu be­ach­ten, die ins­be­son­de­re An­ga­ben ge­gen­über An­ge­hö­ri­gen, ge­gen­über wei­ter­be­han­deln­dem Per­so­nal und ge­gen­über Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den be­tref­fen; dazu spä­ter mehr.

Be­son­ders hin­zu­wei­sen ist an die­ser Stel­le auch dar­auf, dass die Schwei­ge­pflicht eben­falls ge­gen­über Per­so­nen gilt, die ih­rer­seits der Schwei­ge­pflicht un­ter­lie­gen. Es ist also nicht zu­läs­sig, im Kol­le­gen­kreis zu er­zäh­len, was sich "Opa Meyer" heute wie­der tol­les ge­leis­tet hat; denn Ein­zel­hei­ten über des­sen Lei­den oder sein viel­leicht bi­zar­res Ver­hal­ten sol­len eben nicht nur nicht öf­fent­lich be­kannt wer­den, son­dern auch nicht in­ner­halb eines klei­nen (oder viel­leicht auch nicht so klei­nen) Krei­ses.

Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht als Spie­gel­bild der Schwei­ge­pflicht

Im Straf­ver­fah­ren wird die Schwei­gepflicht im üb­ri­gen (nur) teil­wei­se durch ein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungsrecht der Be­tref­fen­den er­gänzt, so dass das Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Arzt und Pa­ti­ent auch gegen staat­li­che Ein­bli­cke ge­schützt bleibt. Eine ent­spre­chen­de Re­ge­lung fin­det sich in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO für den Arzt und in § 53a Abs. 1 StPO für seine "be­rufs­mä­ßig tä­ti­gen Ge­hil­fen":

§ 53 StPO

(1) Zur Ver­wei­ge­rung des Zeug­nis­ses sind fer­ner be­rech­tigt […]

  1. Rechts­an­wäl­te, Pa­tent­an­wäl­te, No­ta­re, Wirt­schafts­prü­fer, ver­ei­dig­te Buch­prü­fer, Steu­er­be­ra­ter und Steu­er­be­voll­mäch­tig­te, Ärzte, Zahn­ärz­te, Psy­cho­lo­gi­sche Psy­cho­the­ra­peu­ten, Kin­der- und Ju­gend­li­chen­psy­cho­the­ra­peu­ten, Apo­the­ker und Heb­am­men über das,was ihnen in die­ser Ei­gen­schaft an­ver­traut wor­den oder be­kannt­ge­wor­den ist, Rechts­an­wäl­ten ste­hen dabei sons­ti­ge Mit­glie­der einer Rechts­an­walts­kam­mer gleich; […]

(2) Die in Ab­satz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b Ge­nann­ten dür­fen das Zeug­nis nicht ver­wei­gern, wenn sie von der Ver­pflich­tung zur Ver­schwie­gen­heit ent­bun­den sind. […]

§ 53a StPO

(1) Den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 Ge­nann­ten ste­hen ihre Ge­hil­fen und die Per­so­nen gleich, die zur Vor­be­rei­tung auf den Beruf an der be­rufs­mä­ßi­gen Tä­tig­keit teil­neh­men. Über die Aus­übung des Rech­tes die­ser Hilfs­per­so­nen, das Zeug­nis zu ver­wei­gern, ent­schei­den die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 Ge­nann­ten, es sei denn, daß diese Ent­schei­dung in ab­seh­ba­rer Zeit nicht her­bei­ge­führt wer­den kann.

(2) Die Ent­bin­dung von der Ver­pflich­tung zur Ver­schwie­gen­heit (§ 53 Abs. 2 Satz 1) gilt auch für die Hilfs­per­so­nen.

So­weit ei­ni­gen Schwei­ge­ver­pflich­te­ten kein Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­recht zu­kommt (wie bspw. den "An­ge­hö­ri­gen eines an­de­ren Heil­be­rufs, der für die Be­rufs­aus­übung oder die Füh­rung der Be­rufs­be­zeich­nung eine staat­lich ge­re­gel­te Aus­bil­dung er­for­dert", sprich u.a. Ret­tungs­as­sis­ten­ten, die selb­stän­dig ohne Arzt tätig sind), geht dann al­ler­dings die Aus­sa­ge­pflicht der Schwei­ge­pflicht vor (siehe unten)! Das gilt eben­so für ohne Arzt im Ein­satz be­find­li­ches Sa­ni­täts­per­so­nal oder An­ge­hö­ri­ge von Kri­sen­in­ter­ven­ti­ons- und Not­fall­nach­sor­ge­diens­ten, die keine Ärzte, psy­cho­lo­gi­sche Psy­cho­the­ra­peu­ten oder Pries­ter sind.

Aus­nah­men von der Schwei­ge­pflicht

Wann darf man trotz Schwei­ge­pflicht Aus­kunft geben?

Es gibt denk­ba­re Fälle, in denen Schwei­ge­pflich­ti­ge trotz be­ste­hen­der Schwei­ge­pflicht den­noch Aus­kunft über be­stimm­te Sach­ver­hal­te, die die­ser Schwei­ge­pflicht un­ter­lie­gen, geben dür­fen oder gar geben müs­sen.

Diese Fälle kann man grob in zwei Grup­pen ein­tei­len: ein­mal sol­che, in denen diese Aus­kunft im - mut­maß­li­chen - In­ter­es­se des Pa­ti­en­ten liegt (der Hel­fer also durch den un­ge­schrie­be­nen Recht­fer­ti­gungs­grund der - mut­maß­li­chen - Ein­wil­li­gung ge­recht­fer­tigt ist und nicht rechts­wid­rig han­delt; hier­bei han­delt es sich streng ge­nom­men nicht um einen "Bruch" der Schwei­ge­pflicht, son­dern eher um einen Ver­zicht, eine Ent­bin­dung sei­tens des Pa­ti­en­ten), und zum an­de­ren sol­che Fälle, bei denen die Schwei­ge­pflicht und mit ihr der da­hin­ter­ste­hen­de An­spruch des Pa­ti­en­ten auf Schutz der Pri­vat- und In­tim­sphä­re hin­ter an­de­ren, hö­her­wer­ti­gen Rechts­gü­tern zu­rück­ste­hen muss (der Hel­fer also bspw. durch § 34 StGB, den recht­fer­ti­gen­den Not­stand, ge­recht­fer­tigt ist).

Ent­bin­dung von der Schwei­ge­pflicht

Ein­fach ge­la­gert ist der Fall, dass der Pa­ti­ent den Hel­fer aus­drück­lich von der Schwei­ge­pflicht ent­bin­det; dann (und so­weit wie diese Ent­bin­dung reicht) be­steht kein An­lass mehr, Aus­künf­te zu un­ter­las­sen. Zu­gleich ent­fällt das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht im Straf­pro­zess. Dabei ist der be­rufs­mä­ßi­ge Hel­fer des Arz­tes von einer Ent­bin­dung des Arz­tes von der Schwei­ge­pflicht mit­be­trof­fen, da sein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht sich von dem des Arz­tes ab­lei­tet.

Wenn sich also - wie häu­fig - im Zi­vil- oder Straf­pro­zess der Pa­ti­ent als Ge­schä­dig­ter (oder viel­leicht auch ein­mal als An­ge­klag­ter) von der Aus­sa­ge des be­han­deln­den Per­so­nals Vor­tei­le er­hofft, wird er sie von ihrer Schwei­ge­pflicht ent­bin­den, damit sie diese Aus­sa­ge ma­chen kön­nen. Eine sol­che Ent­bin­dung muss nicht aus­drück­lich oder in einer be­stimm­ten Form ge­sche­hen, son­dern kann auch kon­klu­dent, das heißt durch schlüs­si­ges Han­deln (so­zu­sa­gen still­schwei­gend) vor­ge­nom­men wer­den, wenn bei­spiels­wei­se der Pa­ti­ent darum bit­tet, An­ge­hö­ri­ge von sei­ner Ein­lie­fe­rung ins Kran­ken­haus zu ver­stän­di­gen, oder wenn er durch sein Ver­hal­ten deut­lich macht, dass er an einer In­for­ma­ti­on sei­ner An­ge­hö­ri­gen über sei­nen Ge­sund­heits­zu­stand, das Trans­port­ziel etc. in­ter­es­siert ist (also die üb­li­che Sach­la­ge beim Ein­tritt eines Not­falls im häus­li­chen Be­reich: um den Pa­ti­en­ten be­mü­hen sich An­ge­hö­ri­ge, die na­tür­lich über die ver­mut­li­che Art der Er­kran­kung, deren Ge­fähr­lich­keit, not­wen­di­ge Maß­nah­men und über das Ziel­kran­ken­haus in­for­miert wer­den möch­ten, was - ohne dass über die­sen Sach­ver­halt groß ge­spro­chen würde - auch dem Wunsch des Pa­ti­en­ten selbst ent­spricht).

Auch wenn es um die Vor­an­mel­dung in der Kli­nik und um die Über­ga­be des Pa­ti­en­ten an wei­ter­be­han­deln­des Per­so­nal geht (bspw. sei­tens des Ret­tungs­dienst­per­so­nals an den Not­arzt oder durch die­sen an den auf­neh­men­den Arzt des Kran­ken­hau­ses), wird man davon aus­ge­hen kön­nen, dass der Pa­ti­ent hin­sicht­lich der für seine wei­te­re Be­hand­lung re­le­van­ten In­for­ma­tio­nen be­reits durch die Ver­stän­di­gung des Ret­tungs­diens­tes und durch sei­nen Wil­len, sich be­han­deln zu las­sen und dazu auch ge­ge­be­nen­falls in die Obhut eines Kran­ken­hau­ses zu be­ge­ben, die­ser In­for­ma­ti­ons­wei­ter­ga­be zu­ge­stimmt hat. (Diese Zu­stim­mung wird sich dabei aber nicht auf Kennt­nis­se be­zie­hen, die das Ret­tungs­dienst­per­so­nal im Rah­men des Ein­sat­zes ge­won­nen hat, die aber für die Wei­ter­be­hand­lung nicht re­le­vant sind, bspw. über die Le­bens­um­stän­de des Pa­ti­en­ten oder die Tat­sa­che, dass er ge­mein­sam mit sei­ner Ge­lieb­ten in der ehe­li­chen Woh­nung an­ge­trof­fen wurde.)

Hin­sicht­lich des Straf­tat­be­stan­des der "Ver­let­zung von Pri­vat­ge­heim­nis­sen" wirkt die Ent­bin­dung von der Schwei­ge­pflicht als recht­fer­ti­gen­de Ein­wil­li­gung, die das (ei­gent­lich tat­be­stands­mä­ßi­ge) Han­deln recht­mä­ßig macht und eine Straf­bar­keit aus­schließt.

Letzt­lich ge­nau­so liegt der Fall, wenn der Pa­ti­ent nicht in der Lage ist, seine Ein­wil­li­gung zu äu­ßern, weil er bspw. be­wusst­los ist. Hier kommt es dar­auf an, ob nach Be­rück­sich­ti­gung aller Um­stän­de, die durch das Ret­tungs­team er­kannt wur­den und er­kenn­bar waren, davon aus­zu­ge­hen ist, dass der Pa­ti­ent ein­ge­wil­ligt (also die Hel­fer von der Schwei­ge­pflicht ent­bun­den) hätte, wenn er denn nur könn­te. Dabei lässt sich in der Regel auf all­ge­mei­ne Über­le­gun­gen, was ein ver­nünf­ti­ger Mensch in der Si­tua­ti­on des Be­trof­fe­nen wol­len würde, zu­rück­grei­fen, es sei denn, es gibt Grund zu der An­nah­me, dass der Pa­ti­ent in­so­weit an­ders ent­schie­den hätte, wenn man ihn fra­gen könn­te. So wird man bspw. bei der Ein­lie­fe­rung eines Be­wusst­lo­sen ins Kran­ken­haus davon aus­ge­hen kön­nen, dass ihm an einer Ver­stän­di­gung sei­ner An­ge­hö­ri­gen und er­for­der­li­chen­falls auch an einer Ver­stän­di­gung der Po­li­zei zur Er­mitt­lung die­ser ge­le­gen wäre, und dass er auch gegen eine qua­li­fi­zier­te Über­ga­be an das Per­so­nal der Not­auf­nah­me keine Ein­wän­de hat. Glei­ches gilt auch für Opfer von Straf­ta­ten, die in der Regel die Ver­stän­di­gung der Po­li­zei wün­schen wer­den; ganz im Ge­gen­teil na­tür­lich zum mut­maß­li­chen Täter, wenn es die­ser ist, der me­di­zi­ni­scher Hilfe be­durf­te. Schließ­lich wird man auch bei einer hilf­lo­sen Per­son, die sich in einer für sie ge­fähr­li­chen Lage be­fin­det, aber - der­zeit - kei­ner me­di­zi­ni­schen Hilfe be­darf, davon aus­ge­hen dür­fen, dass sie mit einer Ver­stän­di­gung ge­eig­ne­ter an­de­rer Hilfs­kräf­te ein­ver­stan­den ist: so beim sich selbst ge­fähr­den­den Be­trun­ke­nen die Ver­stän­di­gung An­ge­hö­ri­ger oder der Po­li­zei zur In­ge­wahrs­am­nah­me.

Bruch der Schwei­ge­pflicht

Ein Bruch der Schwei­ge­pflicht, also die Er­tei­lung einer Aus­kunft über einen der Schwei­ge­pflicht un­ter­lie­gen­den Sach­ver­halt gegen den (mut­maß­li­chen) Wil­len des Pa­ti­en­ten, kommt nur dann in Be­tracht, wenn der Schwei­ge­pflicht an­de­re, vor­ran­gi­ge Pflich­ten ge­gen­über­ste­hen, weil bei ihrer Ein­hal­tung hö­her­ran­gi­ge Rechts­gü­ter wie bspw. Ge­sund­heit oder Leben Drit­ter in Ge­fahr sind, und wenn ge­ra­de der Bruch der Schwei­ge­pflicht ein ge­eig­ne­tes Mit­tel zur Ab­wen­dung die­ser Ge­fahr dar­stellt. Er­for­der­lich ist hier das Be­ste­hen einer ge­gen­wär­ti­gen, an­ders nicht ab­wend­ba­ren Ge­fahr für Leben, Ge­sund­heit oder Ei­gen­tum eines an­de­ren Men­schen (Not­stands­la­ge, § 34 StGB). Das bloße Straf­ver­fol­gungs­in­ter­es­se des Staa­tes über­wiegt hin­ge­gen den An­spruch des Pa­ti­en­ten auf Schutz der Pri­vat- und In­tim­sphä­re nicht. Das er­gibt sich leicht er­sicht­lich auch schon dar­aus, dass in der Straf­pro­zess­ord­nung Re­ge­lun­gen über ein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht des Arz­tes und sei­ner be­rufs­mä­ßi­gen Hel­fer vor­han­den sind; hätte die Straf­ver­fol­gung Vor­rang vor dem In­ter­es­sen des Pa­ti­en­ten, so gäbe es diese Vor­schrif­ten gar nicht, oder es wären Aus­nah­me­re­ge­lun­gen für be­son­ders schwe­re Straf­ta­ten vor­ge­se­hen.

Das be­deu­tet: ein Bruch der Schwei­ge­pflicht bspw. durch die Ver­stän­di­gung der Po­li­zei oder Aus­sa­gen ge­gen­über den Er­mitt­lungs­be­hör­den (ohne eine Ent­bin­dung von der Schwei­ge­pflicht durch den Pa­ti­en­ten!) kommt nur in Be­tracht, um zu­künf­ti­ge (schwe­re) Straf­ta­ten zu ver­hin­dern (vgl. § 138 StGB), nicht aber, um den Täter be­reits be­gan­ge­ner Straf­ta­ten zu über­füh­ren. An­ders liegt der Fall nur dann, wenn ent­we­der die Tat noch fort­wirkt, also zu­sätz­li­che Schä­di­gun­gen zu be­fürch­ten sind, oder wenn sich aus der be­gan­ge­nen Tat An­halts­punk­te für eine Wie­der­ho­lungs­ge­fahr er­ge­ben. Dies liegt ins­be­son­de­re bei schwe­ren Straf­ta­ten aus dem Be­reich der Ge­walt- und Se­xu­al­de­lik­te nahe, aus denen sich Hin­wei­se auf ein hohes Ag­gres­si­ons­po­ten­ti­al des Tä­ters oder trieb­haf­tes Ver­hal­ten er­ge­ben. So­weit Zwei­fel ver­blei­ben, ob bspw. eine An­zei­ge zu Las­ten des Pa­ti­en­ten ge­recht­fer­tigt ist, ist es ggf. emp­feh­lens­wert, zuvor recht­li­chen Rat ein­zu­ho­len.

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber sei noch an­ge­führt, dass auch zur Wah­rung ei­ge­ner In­ter­es­sen des Ret­tungs­dienst­per­so­nals ein Bruch der Schwei­ge­pflicht ge­recht­fer­tigt sein kann, wenn bspw. gegen straf­recht­li­che Ver­fol­gung oder (Scha­dens­er­satz-)An­sprü­che des Pa­ti­en­ten keine an­de­re Ge­gen­wehr mög­lich ist. Denn um sich gegen un­be­rech­tig­te Vor­wür­fe bspw. hin­sicht­lich einer Fehl­be­hand­lung ver­tei­di­gen zu kön­nen, wird es in der Regel un­um­gäng­lich sein, den wah­ren Sach­ver­halt zu schil­dern und ggf. auch unter Zu­hil­fe­nah­me von Do­ku­men­ta­ti­ons­un­teral­gen zu be­le­gen, was auch Aus­kunft über von der Schwei­ge­pflicht um­fass­te Sach­ver­hal­te um­fas­sen wird.

So­weit im üb­ri­gen Aus­kunftspflich­ten ge­setz­lich ge­re­gelt sind (bspw. Mel­de­pflich­ten hin­sicht­lich ge­fähr­li­cher Er­kran­kun­gen an die Ge­sund­heits­be­hör­den, hin­sicht­lich Ge­bur­ten oder bzgl. To­des­fäl­len etc.) be­steht nicht nur ein Recht des me­di­zi­ni­schen Per­so­nals, diese Aus­kunft trotz Schwei­ge­pflicht zu er­tei­len, son­dern eine Ver­pflich­tung. Dazu ge­hört auch die pro­zes­sua­le Aus­sa­ge­pflicht vor Ge­richt oder ge­gen­über der Staats­an­walt­schaft, so­weit der Schwei­ge­pflich­ti­ge nicht auch ein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht hat.

Fall­grup­pen

Zu­sam­men­fas­send las­sen sich also fol­gen­de häu­fig vor­kom­men­de Fall­grup­pen un­ter­schei­den, bei denen ent­we­der von einer aus­drück­li­chen, kon­klu­den­ten (still­schwei­gen­den) oder mut­maß­li­chen Ein­wil­li­gung des Pa­ti­en­ten aus­zu­ge­hen ist oder der Bruch der Schwei­ge­pflicht zum Schutz hö­her­ran­gi­ger Rechts­gü­ter ge­recht­fer­tigt ist:

  • Aus­künf­te an An­ge­hö­ri­ge über Zu­stand und Ver­bleib des Pa­ti­en­ten (je­den­falls so­lan­ge sich die­ser nicht an­der­wei­tig ge­äu­ßert hat)

  • Aus­künf­te an wei­ter­be­han­deln­des Per­so­nal, so­weit zur Wei­ter­ver­sor­gung des Pa­ti­en­ten not­wen­dig

  • Aus­künf­te an An­ge­hö­ri­ge oder Po­li­zei, so­weit beim hilf­lo­sen Pa­ti­en­ten zu des­sen Schutz er­for­der­lich

  • Aus­künf­te an die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den bei Op­fern von Straf­ta­ten (je­den­falls auf deren Wunsch oder wenn beim be­wusst­lo­sen Pa­ti­en­ten ein sol­cher zu ver­mu­ten ist)

  • Aus­künf­te an die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den bei Tä­tern, so­weit Wie­der­ho­lungs­ge­fahr zu be­fürch­ten ist und die Ge­fahr nicht an­ders ab­ge­wen­det wer­den kann

  • Aus­künf­te zum Schutz ei­ge­ner Rech­te (gegen Straf­ver­fol­gung oder vom Pa­ti­en­ten gel­tend ge­mach­te zi­vil­recht­li­che An­sprü­che)

  • Aus­künf­te in Er­fül­lung ge­setz­li­cher Mel­de- oder Aus­sa­ge­pflich­ten

Diese Auf­zäh­lung ist nicht er­schöp­fend, soll­te aber die wich­tigs­ten An­wen­dungs­fäl­le zu­sam­men­fas­sen.

(Lan­des-)ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen

Teil­wei­se haben die oben an­ge­führ­ten Sach­ver­hal­te auch in den Ret­tungs­dienst­ge­set­zen der Län­der eine Re­ge­lung ge­fun­den. So sieht § 32 des Ret­tungs­dienst­ge­set­zes für Ba­den-Würt­tem­berg (RDG-BW) fol­gen­de Re­ge­lung vor:

§ 32: Er­he­bung, Ver­än­de­rung, Spei­che­rung, Nut­zung und Über­mitt­lung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten

(1) […]

(2) […]

(3) Per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten dür­fen an Per­so­nen und Stel­len au­ßer­halb des Be­triebs über­mit­telt wer­den, so­weit dies er­for­der­lich ist

  1. zur Er­fül­lung der in Ab­satz 1 und Ab­satz 2 Nr. 1 ge­nann­ten Zwe­cke,

  2. im Ver­sor­gungs­in­ter­es­se der Pa­ti­en­ten
    a) durch Un­ter­rich­tung der Ein­rich­tung, die Ziel des Be­för­de­rungs­vor­gan­ges ist,
    b) durch Un­ter­rich­tung von An­ge­hö­ri­gen und sons­ti­gen Be­zugs­per­so­nen,

  3. zu einer Rech­nungs­prü­fung, Or­ga­ni­sa­ti­ons- oder Wirt­schaft­lich­keits­prü­fung,

  4. zur Ab­wehr von An­sprü­chen, die gegen den Un­ter­neh­mer oder seine Mit­ar­bei­ter ge­rich­tet sind, oder zur Ver­tei­di­gung im Falle einer Ver­fol­gung des Un­ter­neh­mers oder sei­ner Mit­ar­bei­ter wegen Straf­ta­ten oder Ord­nungs­wid­rig­kei­ten,

  5. zur Ab­wehr einer Ge­fahr für Leben, Ge­sund­heit oder per­sön­li­che Frei­heit des Pa­ti­en­ten oder eines Drit­ten, wenn die Ge­fähr­dung die­ser Rechts­gü­ter das Ge­heim­hal­tungs­in­ter­es­se des Be­trof­fe­nen über­wiegt und die Ge­fahr in ver­tret­ba­rer Weise nicht an­ders be­sei­tigt wer­den kann.

Per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten, die der Ge­heim­hal­tungs­pflicht im Sinne von § 203 des Straf­ge­setz­bu­ches in der je­weils gel­ten­den Fas­sung un­ter­lie­gen, dür­fen auch dann über­mit­telt wer­den, wenn das Pa­ti­en­ten­ge­heim­nis nach die­ser Vor­schrift nicht un­be­fugt of­fen­bart würde.

(4) Der Un­ter­neh­mer und seine Mit­ar­bei­ter sind be­rech­tigt, An­ge­hö­ri­gen und an­de­ren Be­zugs­per­so­nen des Be­trof­fe­nen des­sen Auf­ent­halts­ort mit­zu­tei­len, so­fern nicht im Ein­zel­fall schutz­wür­di­ge In­ter­es­sen des Be­trof­fe­nen dem ent­ge­gen­ste­hen. Dies gilt nicht, so­weit der Be­trof­fe­ne aus­drück­lich einer Aus­kunfts­er­tei­lung wi­der­spro­chen hat.

(5) Wer­den per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten unter den Vor­aus­set­zun­gen der Ab­sät­ze 1 bis 4 wei­ter­ge­ge­ben, so han­delt der­je­ni­ge, der sie wei­ter­gibt, auch in­so­weit nicht un­be­fugt, als er zur Wah­rung ge­setz­li­cher Ge­heim­hal­tungs­vor­schrif­ten ver­pflich­tet ist. Ab­satz 3 Satz 2 bleibt un­be­rührt.

Wie man sieht, sind damit die wich­tigs­ten zuvor er­ör­ter­ten Fälle, in denen eine Aus­kunfts­er­tei­lung trotz be­ste­hen­der Schwei­ge­pflicht von In­ter­es­se ist, ge­setz­lich ge­re­gelt. § 32 Abs. 5 RDG-BW wird man in­so­fern aus straf­recht­li­cher Sicht als Recht­fer­ti­gungs­grund auch hin­sicht­lich eines even­tu­el­len Bruchs der Schwei­ge­pflicht (also eines Ver­sto­ßes gegen § 203 StGB) zu ver­ste­hen haben.

Ver­wand­te Vor­schrif­ten

Zu be­ach­ten sind neben der ärzt­li­chen Schwei­ge­pflicht, die ab­ge­lei­tet auch für die be­rufs­mä­ßi­gen Hel­fer des Arz­tes und ori­gi­när auch bspw. für den Not­fall­sa­ni­tä­ter oder Ret­tungs­as­sis­ten­ten gilt, auch an­de­re Vor­schrif­ten, aus denen sich Pflich­ten zur Ver­schwie­gen­heit er­ge­ben kön­nen, zu denen hier aus Platz­grün­den keine wei­te­ren Aus­füh­run­gen ge­macht wer­den sol­len.

Dazu ge­hö­ren Re­ge­lun­gen über den Da­ten­schutz im Bun­des- oder Lan­des­da­ten­schutz­ge­setz und/oder den Ret­tungs­dienst- und Kran­ken­haus­ge­set­zen der Län­der, dazu ge­hört die Pflicht zur Dienst­ver­schwie­gen­heit des im Ret­tungs­dienst ein­ge­setz­ten Be­am­ten, und dazu zäh­len Vor­schrif­ten über die Ge­heim­hal­tung des Funk­ver­kehrs der Be­hör­den und Or­ga­ni­sa­tio­nen mit Si­cher­heits­auf­ga­ben.

Li­te­ra­tur­emp­feh­lun­gen

  • Ohr, To­bi­as: Die Schwei­ge­pflicht der Leit­stel­len­dis­po­nen­ten und der Ret­tungs­kräf­te vor Ort,
    in: Ret­tungs­dienst 28:906-908 und 28:1038-1040

Die­ser Text zu recht­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen gibt die per­sön­li­che Auf­fas­sung des Au­tors wie­der. Weder kann eine Ga­ran­tie für die in­halt­li­che Rich­tig­keit über­nom­men wer­den, noch soll er eine ggf. not­wen­di­ge Rechts­be­ra­tung im Ein­zel­fall er­set­zen. Ver­bind­li­che Aus­künf­te kann ein Rechts­an­walt er­tei­len, der dann auch die Haf­tung für die Rich­tig­keit sei­ner Rat­schlä­ge trägt.

Li­zenz

Creative Commons-Lizenzvertrag Die­ser In­halt ist unter der Crea­ti­ve Com­mons-Li­zenz BY-NC-SA 4.0 DE li­zen­ziert; er darf unter Na­mens­nen­nung des Au­tors nicht-kom­mer­zi­ell wei­ter­ge­ge­ben und auch be­ar­bei­tet wer­den, so­weit das neue Werk gleich­falls wie­der die­ser Crea­ti­ve-Com­mons-Li­zenz un­ter­liegt. Die Ein­zel­hei­ten er­ge­ben sich aus dem Li­zenz­ver­trag.